Stuttgart liest ein Buch – und zwar diesen Roman von Arno Geiger. Ich hatte ihn im letzten Jahr bereits als Hörbuch gehört und natürlich im Rahmen meiner Arbeit für’s Stuttgarter Schriftstellerhaus in den letzten Monaten viel mit dem Buch zu tun. Wie es sich gehört, wurde das Buch auch im Lesekreis auf der Rohrer Höhe besprochen und das war für mich der Anlass, beim zweiten Durchgang das Buch zur Hand zu nehmen, das im Moment auch als Sonderausgabe zur Aktion lieferbar ist.

Der Inhalt

Veit Kolbe ist 24 Jahre alt und Soldat in Russland. 1944 wird er an der Front schwer verletzt und verbringt einige Monate am Mondsee, um sich von den körperlichen und seelischen Verletzungen zu erholen. In seinem Quartier lebt eine Frau, die er zu Beginn nur „die Darmstädterin“ nennt. Sie ist verheiratet mit einem Soldaten aus Linz und hat eine kleine Tochter. Am Mondsee gibt es das Kinderheim „Schwarzindien“, in dem Mädchen aus Wien leben, die hierher in die Sicherheit des Landlebens geschickt wurden. Eines davon ist Nanni, der Veit Kolbe zweimal begegnet: Beim ersten Mal hält sie seine Hand, als ihn ganz plötzlich einer seiner Angstzustände überkommt, das zweite Mal sieht er sie auf einem Weg, von dem sie nicht mehr zurückkehrt. Aus der Darmstädterin wird irgendwann Margot und mit ihr erlebt er eine Liebe, wie er sie nie kannte. Über allem schwebt die Sicherheit, daß dieser Lebensabschnitt, in dem er beginnt, zu sich selbst zu finden, irgendwann zu Ende gehen wird mit seiner Rückkehr an die Front.

Eingestreut in diesen Haupthandlungsstrang sind die Briefe 3er Menschen: Die Mutter der Darmstädterin, die ihrer Tochter Briefe schreibt, in denen sie vom Alltag des Bombenkrieges in Margots Heimatstadt erzählt. Ein junger Mann, Kurti, der Cousin von Nanni, der ihr rührende Liebesbriefe schreibt und ihr Verschwinden nicht begreift. Und Oskar Meyer, ein Jude aus Wien, der mit seiner Familie zu spät ernst nimmt, was passiert und es versäumt, sich mit seiner Familie in Sicherheit zu bringen.

Meine Meinung

Ich gebe zu, beim ersten Mal tat ich mich (trotz excellenter Sprecher/innen) sehr schwer mit diesem Roman. Ich bin eine Leserin, die auch eine spannende Handlung zu schätzen weiß und Handlung im klassischen Sinne gibt es recht wenig in diesem Roman. Vielmehr ist es die Zustandsbeschreibung des letzten Kriegsjahres aus der Perspektive der ganz normalen Menschen. Mit diesem Wissen (und natürlich den vielen Rezensionen und Interviews, die ich mittlerweile gelesen habe) konnte ich mich beim zweiten Mal ganz anders auf das Buch einlassen. Man merkt, daß Arno Geiger sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat und wie wichtig es ihm ist, den Tonfall der Zeit möglichst genau zu treffen. In einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk Kultur sagt er, daß er kaum Sachbücher, dafür aber unendlich viele Briefe und Tagebücher aus dieser Zeit gelesen hat. So scheinen seine Figuren direkt aus ihrer Zeit zu uns zu sprechen. Dabei jedoch in einer schnörkellosen Sprache, die oft wunderbare Bilder findet und zeichnet.

Die Sprache war es auch, die mich beim Lesen erneut in den Roman hineinzog und fast noch stärkere Bilder in mir erzeugte als es das Hörbuch damals tat. Wobei ich natürlich, vor allem bei den Briefen der Darmstädterin, auch noch immer den Sprachduktus und die vorzügliche Lesweise der Sprecher/innen im Ohr hatte. Im Lesekreis waren sich alle einig, daß das auch die ganz große Qualität dieses Buches ist und wir alle waren fasziniert, wie es Arno Geiger gelungen ist, die Atmosphäre einer Zeit heraufzubeschwören, die er gar nicht selbst erlebt hat. Manche Teilnehemerinnen haben auch noch Briefe aus dieser Zeit von Eltern oder anderen Verwandten und bestätigten, wie gut Tonfall und Sprache der Zeit getroffen sind.

Fazit: Ein großes Buch, absolut lesens- und / oder hörenswert!

Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen oder zu hören, können Sie es in den verschiedenen Ausgaben in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder herunterladen. Die Links führen direkt zum Titel in den jeweiligen Webshops

Wenn Sie vorher in’s Buch reinlesen möchten, können Sie das hier tun

Auf der Aktionsseite von Stuttgart liest ein Buch haben wir einige Links zusammengestellt, die zum tieferen Verständnis des Buches beitragen können.

Lesenswert übrigens auch die Meinung der Buchpreisträgerin und Lyrikerin Kathrin Schmidt, die das Buch während ihres Aufenthaltes in Stuttgart ebenfalls las, und zwar auch zum zweiten Mal.