Dieses Buch hat mich nicht nur wegen seines Themas Demenz interessiert, sondern auch, weil es eine Kollegin geschrieben hat, die ebenfalls Inhaberin einer Buchhandlung ist. Ich finde es immer toll, wenn es Buchhändler*innen gelingt, neben dem Alltagsgeschäft in der Buchhandlung auch noch anderes, kreatives zu tun. Martina Bergmann schreibt einen Blog und Kolumnen und sie hat auch noch einen kleinen Verlag. Jetzt hat sie einen Roman veröffentlicht, der aber nicht in ihrem eigenen Verlag erschienen ist, sondern im kleinen, feinen Verlag von Julia Eisele.
Martina lebt in Borgholzhausen und führt dort eine Buchhandlung. In diese Buchhandlung kommt eines Tages Heinrich, er fährt mit einem schicken Rennrad vor und eine wunderbare Freundschaft beginnt: „Schön hier“, sagte er. „Aber nicht genug für Dein Gehirn. Dafür bin ich jetzt zuständig.“ Heinrich bezeichnet Martina als seine große Liebe, für Martina ist es eine intellektuelle Sache, denn da ist auch noch Martha, Heinrichs Gefährtin, mit der er schon fast vierzig Jahre zusammenlebt. Sie ist scharfsinnig, witzig, promoviert – und dement. Martina und Heinrich genießen ihre Gespräche und Diskussionen, aber Martina sorgt auch dafür, daß zweimal in der Woche der Kühlschrank aufgefüllt wird. Dann erkrankt Heinrich an Krebs und stirbt kurz nach seinem 85. Geburtstag. Martina verspricht ihm, sich um Martha zu kümmern und hält Wort: Sie zieht in das primitiv ausgestattete Haus der Beiden und ist ab sofort Marthas Familie. Was für die beiden Frauen selbstverständlich ist, sorgt im kleinen ostwestfälischen Dorf für Aufsehen und nicht alle können es ertragen, daß da eine junge und eine alte Frau eine offenbar glückliche Wohngemeinschaft bilden.
Dieses Buch hat mich, wie gesagt, auch wegen seines Themas interessiert. 2 Jahre lang war ich gemeinsam mit meiner Schwester die Generalbevollmächtigte meiner Patentante, die nicht mehr alleine leben konnte. Demenz hat viele Gesichter, die Demenz meiner Tante hatte ein ganz anderes, oft agressives Gesicht. Und sie lebte in einer anderen Stadt.
Kein Vergleich also mit dem, was Martina Bergmann berichtet, aber ich fand es schön, zu lesen, daß es auch so gut gehen kann mit der Betreuung und dem Zusammenleben einer jüngeren Frau und einer Frau, die, wie ihr Gefährte Heinrich es nannte, immer wieder einmal in einer „poetischen Verfassung“ ist. Dabei spart Martina Bergman keineswegs aus, wie schwierig manche Situation sein kann. Aber sie hat das große Glück, daß sie mit Menschen zusammen kommt, die erkennen, daß sich hier zwei Menschen gefunden haben und die in der unorthodoxen Situation das Gute sehen: Die Sozialarbeiterin, die das Gutachten enstprechend schreibt, der Vermögensbetreuer, der für die Finanzen zuständig ist und Martina immer wieder ermuntert oder beruhigt, ihre Fragen beantwortet, und sie keinesfalls für eine Erbschleicherin hält. Und auch im Dorf findet sich nicht nur Neid, sondern auch Unterstützung: In der Bäckerei nimmt man ihre D-Markscheine und ruft Martina an, die dann die Schulden begleicht und auch der Taxifahrer weiß damit umzugehen, wenn Martha nach Moskau fahren möchte. Das alles erzählt Martina Bergmann in einer sehr schönen, klaren Sprache, die tiefe Zuneigung, die diese beiden Frauen miteinander verbindet, schimmert immer durch.
Fazit: Ein schönes, ein lesenwertes Buch: Warmherzig, geprägt von liebevollem Respekt und großer Zuneigung, literarisch überaus gelungen. Martha und Martina – sie sind ein Glücksfall füreinander, ein Glück, das vielen Menschen, die mit Demenz zu tun haben, zu wünschen ist!
Wenn Sie das Buch selbst lesen möchten, können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen oder als E-Book herunterladen. Die Links führen direkt in die jeweiligen Webshops.
Im WDR sprach Martina Bergmann über ihr Buch: „Alleinerziehend mit Oma“ können Sie hier nachhören (25:59 Min)
Wenn Sie sich einen Eindruck vom Stil des Buches machen möchten, können Sie hier in’s Buch reinlesen