Dennis Scheck sagt in seinem Gespräch mit der Autorin Helen MacDonald, daß er so ein Buch noch nie gelesen habe. Und da hat er recht!
Als Helen MacDonalds Vater 2007 ganz plötzlich an Herzversagen stirbt, kann sie diesen Verlust kaum verkraften. Ihre Verbindung zum Vater, einem bekannten Fotografen, war sehr eng. Um mit ihrer Trauer leben zu lernen wählt sie einen ungewöhnlichen Weg: Sie beschließt, einen Habicht abzutragen. Schon als Kind war sie fasziniert von Greifvögeln und wollte Falknerin werden.
Sie wissen nicht, was das ist, einen Habich abtragen? Dann geht es Ihnen wir mir – aber wenn Sie die Lektüre dieses Buches beendet haben, sind Sie tief in die Sprache der Falknerei eingetaucht. Einen Habicht abtragen bedeutet, ihn zu zähmen, soweit das bei einem Greifvogel möglich ist.
Zu Beginn scheint es auch zu klappen: Helen und der junge Habicht, dem sie den Namen Mabel gibt, leben auf engem Raum zusammen und ganz langsam gelingt es ihr, das Vertrauen des Jungvogels zu gewinnen. Immer intensiver wird das Zusammensein von Frau und Vogel, Mabel gewöhnt sich an die Menschen, lernt ihre ersten Flüge zu machen, zu jagen. Spätestens da jedoch beginnt Helen MacDonald zu spüren, daß dieses enge Zusammenleben mit Mabel und die Rückbesinnung auf die Natur nicht das alleinige Heilmittel sein kann, nachem sie gesucht hat – sie muss auch lernen, wieder mit Menschen zu leben und den Verlust des Vaters in ihr Leben zu integrieren.
Wer erwartet, hier ein schönes, romantisches Naturbuch zu lesen, der sollte die Finger davon lassen. Wer jedoch bereit ist, sich auf die Schilderung des Zusammenlebens mit einem Raubvogel einzulassen, wird mit einer realistischen, bisweilen schonungslosen Lektüre voller Spannung belohnt. Helen MacDonald ist Lyrikerin und Historikerin,sie findet eine wunderbare Sprache für ihr Buch und zahlreiche Exkurse in die Historie der Falknerei lassen uns weit mehr erfahren als nur die Geschichte des Versuchs, über einen großen Verlust hinweg zu kommen. Eine Art biographische Miniatur über T.H.White, der selbst einmal versucht hat, einen Habicht abzurichten, bildet einen zweiten roten Faden, der sich durch das Buch zieht.
Dieses Buch entwickelt einen wirklichen Sog. Manchmal war ich regelrecht abgestoßen von den Schilderungen der Jagd und der Grausamkeit, mit der Mabel und Helen Kaninchen jagten und töteten, dann brauchte ich auch mal eine Pause. Aber ich musste doch weiterlesen, weil es auch ganz wunderbare Passagen in dem Buch gibt, Naturbeschreibungen und fast philosphische Abschnitte über Geduld, Verlust, Dunkelheit und mehr. Ein anstrengendes Buch, ein tolles Buch – einfach lesenswert!