Dieses Buch hat mich schon durch eine Besprechung in der Stuttgarter Zeitung neugierig gemacht und als ich es dann im Vaihinger Buchladen in die Hand nahm und die ersten Sätze las, musste ich nur noch wenige Nächte darüber schlafen, bis ich es dann doch bestellte.

Der Inhalt

„Es ist kalt auf der Mauer.“ – so beginnt das Buch und es ist auch das Erste, das Joseph Kavangh auffällt, als er seinen Pflichteinsatz von 2 Jahren antritt, den er, wie jeder in England, dort leisten muss. Die Mauer umgibt nach dem großen Wandel die britische Insel und schützt das Land vor den Anderen, die aus ihrer Heimat fliehen, in der sie keine Lebensgrundlagen mehr haben, seitdem der Wasserspiegel immer weiter gestiegen ist. Joseph Kavanagh weiß, daß er, gemeinsam mit allen anderen seiner Einheit, um jeden Preis verhindern muss, daß ein Anderer die Mauer überwindet. Denn für jeden, dem dies gelingt wird ein Wächter auf der Mauer auf dem Meer ausgesetzt – ein sicheres Todesurteil.

Meine Meinung

Dieser hochaktuelle, viel besprochene Roman, wird oft auch als Brexit – Roman gedeutet. Mir ging es nicht so. Natürlich zeigt er auch, wohin es führen kann, wenn ein Land sich vollständig isoliert, aber ich habe ihn in erster Linie als Gedankenspiel gelesen, wie weit Regierungen in ihrer Angst gehen können, um zu verhindern, daß Hilfesuchende bei ihnen Fuß fassen. Die Verteidigung wird zum Selbstzweck, ethische Werte gibt es nicht mehr, die Menschen entfremden sich voneinander.

Dabei sind Joseph Kavanagh und seine Schicksalsgenossen auf der Mauer die Leidtragenden, die dafür büßen müssen, was ihre Elterngeneration versäumt hat. Dieser Konflikt tritt besonders zu Tage, als Kavanagh ein paar Tage Urlaub bei seinen Eltern verbringt, mit denen ihn nichts mehr verbindet. „Keiner kann mit seinen Eltern reden“ sagt er, denn die Elterngeneration weiß genau, daß sie die Schuld trägt an der Situation, die ihre Kinder nun ertragen müssen. Sie wissen es und ihre Kinder wissen es – ein Dialog darüber ist nicht mehr möglich. Dazu kommt, daß eben diese Elterngeneration eine prägende Lebenssituation ihrer Kindern nicht teilt: Den Dienst auf der Mauer. Als Kavanagh abreist, zurück auf die Mauer, schauen seine Eltern sich einen Film über das Surfen an.

Natürlich geht es nicht gut aus für Kavangh auf der Mauer und er muss mit einigen anderen seiner Einheit auf’s Meer. Daß er und seine Kolleg*innen verraten wurden und das Eindringen einiger Anderer gar nicht verhindern konnten, spielt dabei keine Rolle – es zählen die Regeln. Und nun erleben er und die anderen Bootsinsassen genau das, was die Menschen erlebt haben, die sie bisher bekämpft haben – mit offenem Ausgang.

Fazit: Mich hat dieses Buch sehr gefesselt – die Konsequenz, mit der John Lanchester eine mögliche Zukunft durchspielt ist beeindruckend und beklemmend nah dran, an dem, was sich momentan auf dem Mittelmeer abspielt. Wir stehen an einem Scheidepunkt in unserer gesellschaftlichen Entwicklung und es bleibt zu hoffen, daß die politischen Kräfte in der Welt den Weckruf der jungen Generation hören, der in diesen Monaten immer lauter wird.

Leseempfehlung!

Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch zu lesen, können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlungen buch+musik oder Vaihinger Buchladen zur Abholung oder zum Download bestellen.

Hier können Sie in’s Buch reinlesen

Ein Gespräch mit dem Autor John Lanchester im Deutschlandfunk können Sie hier lesen