Dieses Buch hatte mich schon bei seinem Erscheinen 2017 beeindruckt, inzwischen liegt es als Taschenbuch vor. Ich war gespannt, wie es von den Teilnehmerinnen des Lesekreises auf der Rohrer Höhe wohl beurteilt wird. Ich habe es dafür noch einmal gelesen und die zweite Lektüre bestätigte meinen ersten Leseeindruck.
England, 1830: Die 14jährige Mary wächst mit ihren 3 Schwestern auf dem elterlichen Bauernhof auf. Sie hat ein verkrüppeltes Bein, ist aber clever und schlagfertig – zwei Eigenschaften, die in ihrer Familie nicht gut ankommen. Denn das Leben auf dem Bauernhof ist hart und entbehrungsreich, die Kinder werden hauptsächlich als billige Arbeitskräfte gebraucht. Der einzige, der Mary ernst nimmt ist ihr Großvater, der bettlägrig ist.
Eines Tages wird Mary in das Pfarrhaus des Dorfes geschickt: Die Pfarrfrau ist krank und braucht Unterstützung bei der Haushaltsführung. Mary eröffnet sich eine neue Welt. Erstmals erfährt sie Anerkennung und wird freundlich behandelt.
Als Mrs. Graham stirbt, setzt ihr Vater das für ihn finanziell attraktive Arrangement fort: Mary bleibt im Pfarrhaus, um dem Witwer den Haushalt zu führen. Mr. Graham erklärt sich sogar bereit, Mary Lesen und schreiben beizubringen, aber irgendwann beginnen, sich die Stunden zu ändern, denn der Pfarrer möchte einen Lohn für seine Mühen. Einen Lohn, den Mary irgendwann nicht mehr bezahlen möchte…..
Wie gesagt, auch beim zweiten Lesen hat mich dieses Buch sehr berührt. So ging es auch den anderen Teilnehmerinnen des Literatursalons. Mary ist ein aufgewecktes, kluges Mädchen, das schnell durchschaut, was der Pfarrer im Schilde führt. Aber sie sieht keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzten, denn ihre Familie braucht das Geld, das sie für die Haushaltsführung bekommt. Als Leserin liest man mit großer Anteilnahme, wie Marys Schicksal einen Lauf nimmt, dem sie nicht entrinnen kann. Man ahnt, daß es für sie keinen Ausweg geben wird.
Nell Leyshon hat für ihre Geschichte eine einfache Sprache gewählt, mit der sie sich perfekt in das Innenleben ihrer Protagonistin einfühlt. Dadurch gelingt es ihr, uns Mary, die stellvertretend für viele junge Mädchen dieser Zeit steht, besonders nahe zu bringen.
Eine Teilnehmerin warf die Frage auf, warum ein solches Buch heute eigentlich noch geschrieben wird. In der Diskussion kamen wir zu dem Schluss, daß das Buch in unserer Zeit noch immer aktuell ist: Missbrauch von Kindern (und Mary ist mit 15 Jahren noch ein Kind) gibt es leider immer noch, für das es inzwischen zum Glück gesellschaftlich keine Toleranz mehr gibt. Und auch wenn Frauen heute meist weitaus selbstbestimmter leben können, gibt es noch immer Strukturen, die Männern, vielleicht nicht mehr ganz so offensichtlich, Macht über Frauen geben. Die Meetoo – Deabatte ist ein ganz aktuelles Beispiel, aber auch die Diskussionen über die Frauenquote oder die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen für die gleiche Leistung zeigen, wie die Machtverhältnisse immer noch sind.
Fazit: Ein Buch, das unter die Haut geht, großartig geschrieben, ein Buch, das Sie nicht so schnell vergessen werden.
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