Es ist Ewigkeiten her, daß ich „Das Tagebuch der Anne Frank“ gelesen habe und ich muss zugeben, daß es mich damals bei der Lektüre nur bedingt beeindruckt hat. Ich war gespannt, wie es mir nun mit dem Graphic Diary gehen würde.
Ich denke, der Inhalt dieses berühmtesten aller Tagebücher ist hinlänglich bekannt: Anne Frank bekommt zu ihrem 13. Geburtstag von ihrem Vater ein Tagebuch, das fortan zu ihrer einzigen und besten Freundin wird. Sie nennt es Kitty und sie vertraut ihm ihre geheimsten Gedanken, Wünsche und Beobachtungen an: Über die immer größeren Einschränkungen die sie und ihre Familie als Juden hinnehmen müssen, über die Flucht in das Versteck in einem Amsterdamer Hinterhaus, über die großen und kleinen Konflikte der Schicksalsgemeinschaft, ihre Gefühle von Einsamkeit und Nichtverstanden werden, die Abhängigkeit von den Helfer*innen und die immer wieder aufflackernden Hoffnungen auf ein Ende der Besatzungszeit.
Die beiden Verfasser dieser gezeichneten Aufgabe standen vor der großen Herausforderung, eine Auswahl aus den Texten des Tagebuchs zu treffen, diese zu verdichten und dabei dem Originalwerk so treu wie möglich zu bleiben. Mit ihrem Graphic Diary, das übrigens eine Auftragsarbeit für den Anne Frank Fonds ist, wollen die Autoren vor allem Jugendliche ansprechen. Anne Frank als junges Mädchen ist ganz sicher eine Person, mit der sich auch heute noch viele junge Menschen identifizieren können. So kommt in dieser komprimierten Version nicht nur die beengte und bedrohliche äußerliche Situation zur Sprache, sondern auch das Seelenleben eines jungen Mädchens, das immer wieder depressive Phasen durchläuft, mit Schwester und Eltern hadert, sich selbst als widersprüchlich sieht und das seine erste Liebe erlebt.
Zunächst hatte ich mit den Bildern meine Schwierigkeiten – sie waren mir zu knallbunt. Aber das änderte sich bei genauem Betrachten schnell: Anne Frank blickte mich mir großen, wachen und sehr lebendigen Augen an, manchmal blitzen sie voller Schalk, manchmal sind sie unendlich traurig, ein andermal voller Zorn. Die beengten Verhältnisse mit all ihren Einschränkungen drücken sich sehr originell aus: Wenn zum Beispiel auf einer Seite die nervenden Erwachsenen als Aufziehfiguren dargestellt sind, die ihre immer gleichen Sprüche herunterleiern, die Hausordnung, die sie für einen Nachkömmling der Haugemeinschaft unter dem Motto „Spezielle Einrichtung für die vorübergehende Unterkunft von Juden und ihrsgleichen“ anfertigt oder wenn sie die Monate in Endivien -, Spinat- oder Gurkenmonate einteilt.
Annes (Alp)Träume, Fantasien und Wünsche hingegen werden ebenfalls aussagekräftig gezeichnet: Ein explodierender Hitler, als sie vom Attentat auf ihn erfährt, ihren Traum nach der Befreiung ein interessantes Leben führen zu können, auf keinen Fall als Hausfrau: Sie sitzt an einem Schreibtisch, ob als Journalistin oder Autorin, bleibt unserer Fantasie überlassen und schaut uns selbstbewußt und nachdenklich an, ein zusammgerolltes Mädchen im Bett, umgeben von drohenden Wehrmachtssoldaten. Ganz am Ende bildet eine Seite die vielen Facetten ihrer Persönlichkeit in zahlreichen Portäts ab, die ineinanderfließen.
Um der Komplexität des Textes gerecht zu werden, haben sich die beiden Verfasser entschieden, immer wieder reine Textseiten mit Originaltagebucheinträgen einzustreuen, die das, was auf den vorhergegangenen Seiten bildlich dargestellt wurde, noch einmal vertiefen.
Mir ging es bei der Lektüre des Comic ähnlich wie damals bei der Lektüre des Buches: Vieles hat mich sehr bewegt, manches an Anne Franks Persönlichkeit jedoch blieb mir fremd. Die gezeichnete Version brachte mir jedoch die vielen Facetten dieses jungen Mädchens sehr viel näher als damals das Buch, vor allem ihren Humor und ihre wache Beobachtungsgabe. Auch die Liebesgeschichte zwischen ihr und Peter haben die beiden Verfasser für meinen Geschmack sehr feinfühlig dargestellt. Nach Beenden der Lektüre müsste ich nun eigentlich das Original noch einmal lesen!
Fazit: Ein sehr gelungener Comic, der mir gut gefallen hat und der mit Sicherheit Jugendlichen das Schicksal von Anne Frank und ihrer Familie nahe bringen wird und so dazu beitragen kann, daß sie sich mit der Nazizeit auseinandersetzen.
Wenn Sie Lust bekommen haben, das Buch selbst zu lesen oder zu Verschenken, dann können Sie es in den beiden Vaihinger Buchhandlugen buch+musik oder Vaihinger Buchladen bestellen. Die Links führen jeweils direkt in die Webshops.
Eine ausführliche Besprechung des Buches, in dem auch etwas über Adaption und Original zu lesen ist, erschien auf der seite des deutschlandfunk. Sie können Sie hier nachlesen.
Dieser Trailer zeigt Ihnen einige der ausdrucksstarken Bilder, (Video, 1:06 Min)