Der Auftakt zu einer neuen Krimi – Reihe, die im Kunstmilieu angesiedelt ist – das erschien mir vielversprechend, zumal ich auch sehr gerne Krimis lese, in denen die jüngere Geschichte der Bundesrepublik eine Rolle spielt. Ich bedanke mich beim Kiepenheuer & Witsch Verlag, der mir ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Der Inhalt

Lennard Lomberg ist Kunstexeperte. Eines Tages erhält er einen Anruf, in dem ihn ein gewisser Gilles Dupret um ein Treffen bittet. Eine von ihm vertretene Stiftung möchte ein Gemälde an seine Eigentümer zurückgeben und hofft dabei auf Lombergs Unterstützung bei der Auffindung. Dessen vor 20 Jahren veröffentlichte Doktorarbeit über Beutekunst weist ihn als Experten in diesem Bereich aus. Lomberg jedoch hat kein Interesse, obwohl ihn Dupret mit angeblich familiären Hintergründen in der Historie des Gemäldes unter Druck setzen will. Kurze Zeit später ist Dupret tot und die Polizei steht in Lombergs Büro. Zwar kann er den Verdacht gegen ihn entkräften, aber die Vermutung der Ermittlenden, daß sein Vater etwas mit dem geraubten Gemälde zu tun haben könnte, sorgt dafür, daß er beginnt, der der Sache nachzugehen. Mit ihm tauchen wir Lesenden tief ein in die tragische Geschichte des neunten Gemäldes, das möglicherweise eine Sensation in der Kunstwelt hervorrufen könnte.

Meine Meinung

Dies ist ein spannender und sehr komplexer Krimi, der im wesentlichen auf 3 Zeitebenen spielt:

In der Gegenwart bekommen wir es mit Lennard Lomberg zu tun, der tief in der Kunstwelt verankert ist. Er lebte lange in London, wo er für das Auktionshaus Christies arbeitete und eine kurze, unglückliche Ehe geführt hat. Nach dem Tod seiner Mutter kehrt er in seine Heimatstadt Bonn zurück, in der mittlerweile auch seine Tochter Julie lebt und Journalismus studiert. Sie hat sich von ihrer egozentrischen Mutter gelöst, die über viele Jahre hinweg den Kontakt zum Vater und dessen deutscher Familie boykottierte. Lomberg arbeitet sowohl als Gastprofessor als auch als Gutachter, der im Auftrag von Versicherungen Wertgutachten von Kunstwerken erstellt. Seine Doktorarbeit über Beutekunst, die er veröffentlichte, sorgte für einen guten Ruf in der Kunstszene, jedoch für Ablehnung in politischen Kreisen, da es in ihr um die Wiedergutmachung der Bundesrepublik im Zusammenhang mit Kunstwerken, die von den Nazis geraubt wurden, geht. Zu diesen Kreisen gehörte auch sein Vater, der in den 60er Jahren Generalbundesanwalt war und der den Kontakt zu seinem Sohn nach der Veröffentlichung abbrach.

Eine zweite Handlungsebene ist im Paris der 40er Jahre angesiedelt, wo die Nationalsozialisten einen blühenden Handel mit gestohlenen Kunstwerken jüdischer Kunstsammlern und aus Pariser Museen betreiben. Andreas Storm wählt eine tatsächliche Begebenheit: Die Vernichtung von ungefähr 600 Gemälden angeblich entarteter Kunst im Mai 1943, der möglicherweise auch Werke von Picasso, Klee und anderen zum Opfer fielen. Ob das tatsächlich der Fall war, ist nicht erwiesen. In seinem Plot verschwinden 8 wertvolle Gemälde und werden durch wertlose ersetzt, ein 9. bleibt verschwunden. Dieses 9. Gemälde ist es, das später wieder auftaucht und von dem vermutet wird, es könnte ein bisher unbekanntes Gemälde von Picasso aus dessen kubistischer Schaffensperiode sein. In diesen Vorgang werden unverschuldet zwei junge Soldaten verwickelt, die nur knapp dem Tod entrinnen – einer davon ist Leutnant Lomberg.

Die dritte Handlungsebene spielt 1966. In der jungen Bundesrepublik ist das Bundeskriminalamt durchsetzt von ehemealigen SS – Offizieren und auch seine Organisationsstruktur orientiert sich an der Struktur des Reichskriminalpolizeitamtes der Nationalsozialisten. Das BKA rivalisiert in dieser Zeit auch mit der Sicherungsgruppe, die für den Personenschutz zuständig ist. Der ehemalige Leutnant Lomberg ist mitterweile zum Staatssekretät des Innenministers aufgestiegen und wittert in der Rivalität der beiden Abteilungen nicht nur eine Chance für einen Karrieresprung, sondern auch für einen Racheakt am Drahtzieher des Pariser Kunstraubs.

Diese 3 Erzählebenen ergeben ein komplexes Handlungs- und Beziehungsgeflecht. Vor allem in den beiden historischen Ebenen ist die Informationsfülle enorm: Andreas Storm entführt seine Leser:innen zum einen tief in die Kunstgeschichte und die Kunstsammlerszene, zum anderen beschreibt er sehr detailliert die Raffinesse und Skrupellosigkeit, mit der Offiziere der Nazis sich Kunstwerke aus den Beständen von Pariser Museen und aus jüdischen Kunstsammlungen unter den Nagel rissen und damit für ein gesichertes Leben nach dem Krieg vorsorgten. Gefälschte Indentitäten, Gier und Skrupellosigkeit, all das machte es möglich, daß viele von ihnen sich der Justiz entziehen konnten. Daß der Verbleib vieler der von den Nazis geraubten Gemälde und Kunstwerke bis heute nicht geklärt ist und was für ein lukratives, oft aber auch undurchsichtiges Geschäft der Kunsthandel sein kann, das erfahren wir auch in dem Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt.

Wie sehr die junge Bundesrepublik bis in die 60er Jahre in Verwaltung und Justiz noch immer von Naziseilschaften unterwandert war, ist eigentlich hinlänglich bekannt, aber dennoch macht es mich, auch bei der Lektüre dieses Romans, immer wieder fassungslos. Es mag vielleicht ein wenig an den Haaren herbeigezogen wirken, wenn ein ehemaliges Opfer plötzlich seinen Peiniger in einem hohen gesellschaftlichen Rang wieder erkennt, aber es gibt genügend Berichte, in denen genau so etwas nachzulesen ist. Und so ist auch die Geschichte von Leutnant Lomberg, der im Präsidenten des Bundeskriminalamtes den Mann erkennt, dem er Folter und Todesangst in der Pariser Gestappo zu verdanken hat, durchaus glaubwürdig. Die Rivalität zwischen den Behörden und die unterschiedlichen politischen Interessen der Nach-Adenauer-Ära bilden einen spannenden Hintergrund, die geschickt mit der Handlung verknüpft sind.

Die verschiedenen Themenkomplexe werden von Adreas Storm zu einem sehr interessanten Krimi zusammengefügt. Sein Hauptaugenmerk legt er dabei weniger auf eine sehr tiefgehende psychologische Zeichnung der Personen, als auf die vielschichtige Handlung und den sorgfältig recherchierten Hintergrund. Der Diebstahl des Gemäldes ist das Vehikel, mit dem er aufzeigt, wie die Zeit des Nationalsozialismus das Schicksal einzelner Menschen über Jahrzehnte hinweg bis in die Gegenwart hinein beeinflussen kann.

Die Lektüre erfordert jedoch eine hohe Aufmerksamkeit, denn es gilt zum einen, die enorme Informationsfülle zu verarbeiten und zum anderen den Überblick auf das umfangreiche Handlungspersonal,  ihre Biographien und (teilweise) falschen Legenden zu behalten. Hier hätte ich ein Personenregister sehr hilfreich gefunden.

Fazit: Ich lese ausgesprochen gerne Krimis wie diesen, die Geschichte und Zeitgeschichte mit einem interessanten Thema verbinden und dieser war für mich eine wirklich spannende Lektüre. Ich bin gespannt, ob die Reihe so gut weitergehen wird, wie sie begonnen hat, denn die Welt der Kunst verknüpft mit historischen und zeitgeschichtlichen Begebenheiten bietet sicher noch reichlich Potential für Andreas Storm und seinen Lennard Lomberg!

In diesem Interview (Video, 10.38 Min.) erzählt Andreas Storm, wie er auf die Idee zu seiner Krimireihe kam.

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