Dieser Krimi interessierte mich für meine Juryarbeit bei den Stuttgarter Kriminächten und ich bedanke mich beim Dumont Verlag für das Leseexemplar.
Cay Rademacher ist ein sehr fleissiger Krimiautor, allein in seiner Provence-Serie um Capitaine Roger Blanc sind bereits 11 Bände erschienen, er widmet sich aber auch historischen Stoffen wie z.B. in der Trümmermörder-Trilogie, die in Hamburg angesiedelt ist. Nun also ein Krimi, der in Köln spielt.
Wir schreiben den März 1945: Köln ist von den Amerikanern besetzt, allerdings nur die linksrheinische Seite, die Brücke, die die Stadt mit dem anderen Ufer verbunden hat, wurde von der Wehrmacht in die Luft gesprengt. Immer wieder werden amerikanische Flugzeuge abgeschossen und ein junger amerikanischer Pilot konnte sich bei solche einem Abschuss mit dem Fallschirm retten. Er landet in der Ruine der Kölner Sankt Kolumba. Sein letzter Blick, bevor er erschossen wird, fällt auf eine Madonnenstatue. Es gibt einen Zeugen für diesen Lynchmord und der amerikanische Befehlshaber beauftragt den jungen Joe Salmon, eigentlich ein Kölner Jude, dem in letzter Sekunde die Emigration in die USA gelang. Joe beginnt mit der fast aussichtslosen Suche, aber er sucht noch nach zwei weiteren Menschen, mit denen er vor seiner Flucht eng verbunden war: Jakub, ebenfalls Jude und Hilda, das Mädchen, in das er hoffnungslos verliebt war…..
Dieser Krimi ist sehr spannend zu lesen, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, der Autor will zu viel darin unterbringen. Da ist einerseits die Suche nach dem Mörder, die sich zwar schwierig gestaltet, aber durch seine hervorragenden Sprach- und Ortskenntnisse tastet sich Joe langsam voran. Begleitet wird er dabei von Eric Arthur Blair, einem englischen Kriegsreporter, der sich nach Köln durchgegkämpft hat und für englische Zeitungen aus dem zerstörten Deutschland berichten soll. Er wurde später bekannt unter dem Namen George Orwell. Mindestens ebensoviel Raum nimmt jedoch die Suche nach seinen beiden Freunden ein. Während Joe Hilda noch lebend antrifft, wird schnell klar, dass Jakub nicht mehr lebt: Er wurde denunziert.
Eingeschoben in diese Erzählebene sind Rückblicke in die gemeinsame Zeit mit Hilda und Jakub, schon verdunkelt von der Nazidiktatur aber mit dennoch unbeschwerten Momenten.
Man merkt, dass Cay Rademacher intensiv recherchiert hat und Köln auch sehr gut kennt, schließlich studierte er dort anglo-amerikanische Geschichte, alte Geschichte und Philosophie. Als eine, die Köln kaum kennt, war mir das manchmal zu detailreich, Kölner:innen werden das sicher anders sehen. Aber es gelingt dem Autor sehr gut, die Atmosphäre dieser letzten Kriegswochen einzufangen: Die Menschen, die ohne Wasser und Strom in Trümmern hausen, unter denen noch die nicht geborgenen Leichen liegen und die nichts anderes wollen, als überleben. Viele von ihnen fühlen sich als Opfer, sind dabei jedoch auch mehr oder weniger aktive Unterstützer:innen des Naziregimes gewesen. Diese Zwiespältigkeit arbeitet der Autor sehr gut heraus.Wir begegnen auch einer ganzen Reihe historischer Persönlichkeiten wie z.B. Konrad Adenauer, Irmgard Keun und Stefan Heym um nur einige zu nennen.
Diese Zwiespältigkeit trägt auch Joe Salmon in sich: Er gehört zu den sogenannten Ritchie-Boys, das waren Angehörige einer speziellen amerikanischen Feldnachrichtentruppe, in der sehr viele aus Deutschland stammende Emigranten dienten, die durch ihre Landes- und Sprach- und Landeskenntnisse wertvolle Hinweise gaben. Aber er ist auch Kölner und leidet unter der Zerstörung seiner Stadt und dem Verlust seines Freundes Jakub. Auch die Beziehung zu Hilda bleibt nach dem Wiedersehen ambivalent, ist sie doch mittlerweile mit einem Arzt verheiratet, der einen guten Ruf hat.
Insgesamt also ein sehr komplexer und vielschichtiger Kriminalroman, den ich gerne gelesen habe. Nur, dass ich schon relativ früh eine Ahnung hatte, wer Jakub denunziert haben könnte, war für mich ein kleiner Malus, auch wenn sich mir das Motiv erst am Ende erschlossen hat. Trotzdem: Leseempfehlung für alle, die gut recherchierte historische Kriminalromane mögen, ganz besonders für Menschen aus Köln und Umgebung!
In diesem Video (5 Min., verfügbar bis 3.5.2027) kommt nicht nur Cay Rademacher zu Wort, sondern es sind auch viele historische Aufnhamen des Köln aus der Nachkriegszeit zu sehen.
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Eine Leseprobe finden Sie hier