Zwölf Portraits, die vom Aufbruch in ein völlig neues Leben berichten. Die Lebenswirklichkeit älterer Menschen ist vielfältig und lässt sich nicht auf die allgemein verbreiteten Klischees reduzieren
„Bisher gibt es keine Rollenvorbilder, wie die Zeit jenseits der Berufstätigkeit am besten zu gestalten ist.“ so die Autorinnen Ulrike Herrmann und Martina Wittneben. Die Bilder, die uns von Älteren zumeist übermittelt werden, sind entweder hilfs- und pflegebedürftige Greise, faltenlose, glückliche Kreuzfahrtreisende oder die harmloser SeniorInnen, die für Abführmittel oder Zahnprothesen werben.
Dass wir uns heute durchschnittlich fünfzehn Jahre jünger fühlen und neue Erfahrungen machen möchten oder müssen, weil es Unterbrechungen in unseren Berufsbiographien gegeben hat und frau sich jetzt endlich ohne Karrierezwänge ausprobieren will, kommt in unserer Vorstellungswelt nur am Rande vor. Die hier publizierten zwölf Portraits von Menschen jenseits der „50+ Generation“ bieten hier eine gute Gelegenheit, die Sinne zu schärfen und unsere Sichtweise zu verändern. Wir lernen wache bewegliche junge Alte kennen. Mobilität ist als geistige Fähigkeit und nicht nur als Beweglichkeit zu verstehen. Mit neuen Ideen, Mut, viel Lebenserfahrung und Empathie für andere Menschen gehen die hier portraitierten Menschen ihre zweite Karriere an.
Die Autorinnen lassen neun Frauen und vier Männer über ihre Erfahrungen berichten, wobei diese Palette der Erfahrungen sehr breit und vielfältig ist. Wir hören von den Unternehmerinnen Regina Wolters (Firma „tisch, teller und tasse“ – Berlin) und Christa Höh (Firma „Senior Models“ – München) und Annemarie Mühlemann, die mit AutorInnenlesungen in Schweizer Luxushotels großen Erfolg hat. Die Ärztin Ursula Dorn behandelt heute Drogenabhängige, die Schwestern Renate Braun-Schmitz und Ursula Rossbach führen in Karlsruhe gemeinsam im „Sonntagscafé“ Vorträge und Diskussionsrunden durch und sind auch anderweitig selbstbestimmt und ehrenamtlich aktiv. „Kaffekochen ist nicht unser Ding. Unsere Konzepte trainieren auch den Geist“, sagt Ursula Rossbach. Ihre Schwester ergänzt: „Wir müssen Verantwortung tragen, wir Alten, wenn wir gehört werden wollen“. Krista Lange tanzt bei Pina Bausch die Hauptrolle im „Kontakthof“, einem Angebot für Damen und Herren ab 65. Die anrührenste Geschichte ist die von Inge Dethlefs, die sich als Kunsttheapeutin und Klinik-Clown auf Sylt darum bemüht, Demenzkranken etwas Sonne in ihr Leben zu bringen.
Ulrike Herrmannund Martina Wittneben ist ein schönes und einfühlsames Lesebuch gelungen. Interessant ist, dass die Autorinnen nicht nur aufzeigen, was die von ihnen Portraitierten heute tun, sondern uns auch Einblicke in deren Biografie ermöglichen und so nicht immer einfache Entwicklungen nachgezeichnet werden. Die Beiträge zeigen auf, wie ältere Menschen Träume verwirklichen, neue Freiheiten und Wege für sich entdecken und ganz unterschiedliche Glücksmomente erleben. Zwölf sehr unterschiedliche Vorbilder. Sie können durchaus auch für jüngere Menschen Gültigkeit beanspruchen.