Ich könnte mir vorstellen, daß bei dem neuen Roman von Anne Holt die Romane von Agatha Christie Pate standen, denn hier haben wir es mit einem ganz klassischen „Who dunit“ zu tun.
Bei einem Zugunglück in Norwegen während eines Schneeorkans werden die Überlebenden in einem nahegelegenen Hotel untergebracht. Unter ihnen ist auch die ehemalige Kriminalkommissarin Hanne Wilhelmsen, die nach einer Schussverletzung im Rollstuhl sitzt und sich völlig von der Außenwelt abgekapselt hat. Abgeschnitten von der Außenwelt und allen modernen Kommunikationsmitteln bilden die 200 Personen eine Notgemeinschaft, die miteinander zurecht kommen muß. Für reichlichen Diskussionsstoff sorgen die Wachen, die im obersten Stock des Hotels Position bezogen haben und eine Personengruppe bewachen, die niemand gesehen hat. Bereits in der ersten Nacht passiert ein Mord: Ein bekannter Pastor liegt steifgefroren und mit einem großen Loch im Kopf vor dem Hotel. Zu Beginn wehrt sich Hanne Wilhelmsen dagegen, sich der Sache anzunehmen, aber als kurz darauf ein zweiter Mord passiert, muß sie ihre Meinung ändern.
Während mich Hanne Wilhelmsen mit ihrer penetranten negativen Art auf den ersten Seiten ziemlich nervte, geriet ich dann doch sehr schnell in den Sog dieses spannenden Krimis, der sich wohltuend von den momentan üblichen, oft brutalen Krimis abhebt. In ihrer Bewegungsfreiheit auf ein Minimum reduziert bleibt der ehemaligen Kommissarin nur ihre genaue Beobachtungsgabe, ihre Menschenkenntnis und ihre Erfahrung, um die Morde aufzuklären. Und auch für die undurchsichtige, unsichtbare Menschengruppe im obersten Stock gibt es eine Erklärung, bei der sich die Leserinnen und Leser allerdings nicht sicher sein können, ob sie wirklich stimmt.
Spannende Krimikunst für alle, für die Spannung nicht genau geschilderte Obduktionsberichte oder ausführlich beschriebene Mordszenen bedeutet, in denen das Blut reichlich fließt, sondern ein gut konstruierter, psychologisch durchdachter Plot!